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Licht und Schatten bei Piero Dorazio

Piero Dorazio (Rom 1927) schafft Werke, in denen die Zeichnung, als Farblinie, einen dreidimensionalen Raum artikuliert, der sich durch Lichteffeckte und eigenständige Rhythmen verdichtet, das heisst, durch die Zeichnung als Farbfleck..

In seiner meisterhaften Handhabung (Pinselführung und Fliessen seiner Farbe), der Beherrschung der schwierigen Improvisation, bilden die Werke Piero Dorazios (Zeichnungen oder Malereien) einzelne Teile eines Ganzen und formen auf diese Weise ein langes Gedicht des Lebens. Dieses Gedicht beginnt mit Bildern wie Natura morta, 1946 und Chez Voltaire,1957.Hier tauchen die Lichtstrukturen auf, 1958-63, nach denen Nathalie Vernizzi sein Werk in Grenoble, 1990, unterteilte. Später folgen Tuschezeichnungen und Gouachemalereien auf Papier. Dann geht er zu Malereien über, bei denen die Überlagerung von Linien, ausgedrückt durch Farbbänder und schiefe Ebenen, sowie später in der Epoche der Nebulosas (Nebelflecken), 1973-78, mit einer Anhäufung von Farbflecken, selbst Töne und Atmosphäre schafft. Schliesslich endet das Gedicht mit den Bildern von 1980-2000, wo die Farbe, Temperafarben, Aussparungen und Transparenzen einen dynamischen "Bild-Körper” aus Licht und Schatten entstehen lassen.

Die Befähigung zur graphischen Synthese des Blicks tendiert bei Piero Dorazio selbstverständlich zur Abstraktion. Zum besseren Verständnis seiner Fähigkeit, das Leben darzustellen, es mittels linearer Rhythmen und Lichteffekte einzufangen, werden zwischendurch auch einige Aufzeichnungen der Natur, wie zum Beispiel Regen und Wolken, gezeigt . Alle anderen Bilder, wie "Essays des Denkens”, stellen einen vielschichtigen, inneren Monolog dar. Bei seinem persönlichen und abstrakten Selbstgespräch handelt es sich um eine sehr typische Erzählform dieses Jahrhunderts (auch was die Literatur betrifft).

In gewisser Weise stellt sich Piero Dorazio parallel zur Linie der logischen Kontinuität
des Diskurses von Rothko, auch wenn die Nebelschwaden der Harhig Erzählung des Amerikaners nichts mit der tiefgehenden bildnerischen Schönschrift Dorazios zu tun haben. In beider Werke gibt es Zeichen, aber keine Erzählung, sondern puren optischen Eindruck.
Wie die Literaturgeschichte, so basiert auch die Kunstgeschichte unter anderem auf der Erinnerung an immer wieder besuchte Orte, nicht nur thematischer und erzählerischer, sondern auch struktureller oder kompositioneller Art. In der Kunstgeschichte ist eines dieser Themen der Lichtcharakter, die Atmosphäre, die sich wie ein Schleier über jedes Werk breitet, sei es nun eine figurative Darstellung, oder eine abstrakte Wahrnehmung. Wie Manuel Vicent über einen tausendjährigen Olivenbaum in seinem Garten geschrieben hat: ”Die Philosophien sind vergänglich, die ärgsten Gewalttaten werden in die Kultur eingegliedert, aber das Olivenöl leuchtet weiter mit dem selben Licht. Neun Oliven am Tag reichen aus, um jegliches Missgeschick zu überleben.”

Das Licht in und von der Malerei ist nicht nur blosse Beleuchtung. Das Licht war immer schon ein erzählerischer Untergrund des Bildes, aber auch gleichzeitig eine Grundlage von Anregungen, und eine expressive Grundlage des gesamten bildnerischen Werks. Es gibt eine Kunstgeschichte, welche eine "Lichtgeschichte” ist, das heisst, eine Geschichte der Technik, Licht in den Bildern, Farben des Lichts, zu schaffen. Ich denke an jene kosmischen Landschaften, mit dem blendenden Licht metallischer Kampfwaffen von Albrecht Altdorfer, oder an das feuchte Licht der stillen Auen in den kleinen Bildern Adam Elsheimers, an das apokalyptische Licht der christlichen Vision in den Werken Mathias Grünewalds; an das finstere Licht der zwielichtigen Gesellschaften auf den Bildern von Michelangelo Caravaggio; an den kleinen und einzigen Lichtpol, wie ein Lichtsegel, in den Werken von George de la Tour, an die existentielle Atmosphäre der Steilküsten von Caspar David Friedrich, an die Dorfbewohner im Gegenlicht auf den ebenen Feldern von Jean François Millet, die der ausdrucksvolle Pinsel Vincent van Goghs in leuchtende Sonnenblumen aus der Provence verwandelt; an die Gewitter von William Turner, oder an die melancholischen Schatten der Plätze von Giorgio de Chirico, an das Licht der Impressionisten, durch dessen Wirkung die Figur sich auflöst, im Gegensatz zum metaphysischen Licht der Bilder von Johannes Vermeer; an das griechische Licht aus Alabaster und Nordwind, das den Horizont der Bucht von Port Lligat beleuchtet und das Salvador Dalí zum Thema nimmt; an das Neonlicht der Bühnengestaltung von Erich Wonder oder des Taxi Driver von Martin Scorsese, oder an das Licht der Farbe an sich, an seine Feuchtigkeit in der Malerei von Mark Rothko.

Das Licht ist immer das gleiche, es ist einfach ein Phänomen des Lebens der Malerei, aber es zu sehen, ist ihre eigentliche Substanz. Und so verändert sich seine Farbe, seine Art, sich zu offenbaren: jeder Künstler-Prophet spricht (von ihr) mit seiner Stimme (mit seinem Pinsel, mit seinen Täuschungen), die gleichzeitig sein Blick ist. Die Malerei ist nicht nur Erzählung oder Erfindung eines Bildes. Es geht nicht einfach darum, beim Gestalten eines Bildes einfallsreich zu sein; man muss eine Überraschung gestalten, ein neues Bild, ebenso was Zeichen und Thema betrifft, als auch die Materie. Denn, ebenso wie bei Ballett und Bildhauerei, gibt es in der Malerei ein anderes Niveau, genauso wichtig wie das Bild, und zwar das Plastische, das heisst, die Substanzen, die stoffliche Qualität – die keine einfache chromatische Kombination darstellt - sondern vor allem Präsenz.

Der Sinn der Werke, die wir hier von Piero Dorazio präsentieren, erschliesst sich zumindest auf drei Ebenen:
1. Räumliches Spiel (zwischen Figur und Grund).
2. Spiel von Formen und Erscheinung (zwischen Atmosphäre und Lichteffekten).
3. Spiel der Tönungen (sowohl in der Konfrontation wie auch im Bezug zueinander).

Analysieren wir in der Folge diese drei Ebenen genauer:
1. Der Raum ist bei Piero Dorazio nicht nur die Grundlage der Leinwandoberfläche. Es ist in der Ausgangstönung der Leinwand oder in ihrer Grundierung, wo der Pinsel Strukturen ( seine Spurbreite), Lasuren (Dichte im Auftragen der Farbe), oder Lichter, die als Aussparungen erscheinen (das heisst, bewusst leere Stellen, mit durchsichtigem Leim auf die Leinwand aufgetragen) hinterlässt. Diese sogenannten Aussparungen werden vom Pinsel selbst bestimmt, - da dieser die mit Leim bestrichenen Stellen nicht bemalt- unbewusst, ich sage unbewusst, da Piero Dorazio ohne ein bestimmtes Endziel arbeitet: mit seiner Intuition verfeinert er einen Weg und gleicht ihn aus, bis er erst am Ende zum Vorschein kommt. Bei Piero Dorazio treten Figur und Hintergrund bei der Komposition eines Bildes in Beziehung. Die Graphie von Piero Dorazio basiert in der Regel ebenso auf dem ultramarin Pigment, als auch auf dem weissen, das durch Aussparung zustande kommt. Selbst die ultramarin oder Siena Zeichen, die mit den weissen Aussparungen dialogisieren, erscheinen nicht am Ende des Prozesses, sondern sind ihm imanent, in den verschiedenen Tönungsschichten vorhanden. Auf diese Art vibriert das Blau aus dem Inneren dieser Farbschichten oder –schleier heraus, während sich, würde es am Ende aufgetragen, seine Kraft durch das Auftragen und Feuchtwerden, auflösen würde. Die in Transparenz verwandelte Farbe, kommt aus dem Inneren und gewinnt dadurch ihre strukturelle Macht und ihre Dialogfáhigkeit mit dem Weissen, das aus dem Hintergrund kommt.

2. Oft, wenn Kritiker in der Presse von Piero Dorazio sprechen, heben sie, fast wie einen Mangel, seinen linearen, zeichnerischen Diskurs hervor, das Vorherrschen der Formen, obwohl wir es in Wahrheit mit einem In-Frage-Stellen der Formen und ihrer Erscheinungen zu tun haben. Ist die Linie des Pinsels eine Form oder die Linie der Aussparungen, die auf der Leinwand dargestellt werden und erst später dann, indem sie verschwinden – als leere Stellen oder als Hintergründe, die sie ja sind- im Vordergrund auftreten und erscheinen? Tritt die Anwesenheit der Formen bei Piero Dorazio nicht langsam, wie eine Enthüllung, in Erscheinung? Ist es nicht eine Konsequenz des oben erwähnten Aspekts (das Verhältnis Grund-Figur), basierend auf der Arbeit mit Lasuren? Auf einige Gemälde klebt Piero Dorazio Japanpapier, das, wenn es sich mit dem Untergrund mischt, Lichtatmosphäre schafft, wie Schleier, die der Ebene Tiefe verleihen. Auf einigen, nicht präparierten Leinwänden dringt die Farbe ein und sieht sich einem feindlichen Medium gegenüber, feindlich gegenüber dem Pinsel (der nicht mehr auf der Oberfläche gleitet), feindlich gegenüber dem Material (denn die Farbe - Tempera-, Acryl- oder Ölfarbe - wird absorbiert). Im Werk von Piero Dorazio variiert der Untergrund, die malerische Ausführung bedingend oder ihr Autorität verschaffend.

3. Piero Dorazio kodifiziert das Licht im Inneren der Pigmente; er bewirkt, dass die Tönungen sich, sowohl durch den Gebrauch des Pinsels, als auch des Untergrunds, oder der Verbindung beider, verdichten.
Auf den Leinwänden mit Öl- oder Temperafarben wird die Farbe nicht von der
Hand des Künstlers in einer mechanischen Operation aufgetragen, sie wird nicht
direkt gestaltet, nicht aufgesetzt, sondern sie verschmilzt.
Auf die Weise spielt Piero Dorazio mit dem Widerspruch des Zeichnens: die chromatischen Werte bestehen aus der Linie, während die räumlichen Werte durch das Spiel mit den Tönungen und ihren Schattierungen erreicht werden. Die Linien, die Farbe und das Licht – die Zeichen und Atmosphäre formen- erhalten Eigenbewegung, es ist keine statische Malerei.

Diese drei genannten Ebenen sind nur Mittel, mit denen er uns seine Stimme, seinen Blick, aufzwingt. Piero Dorazio malt aus einem persönlichen Stil heraus, der Rettung jedes Schaffens, und nicht aus einer Tendenz.
Die Komponenten seines Diskurses, dies wird wieder einmal bei unserer Ausstellung offenbar, und gleichzeitig die bestimmenden Elemente seines gesamten Werks und seines Hermetismus sind folgende:
&Mac183; das Gewicht des experimentellen Sinns seiner Malerei.
&Mac183; Der intime Charakter seiner gesamten poetischen Erfahrung, deren Grundlage eine innere Tragik ist – sicher war es auch so bei Rothko – wie das Vermerken des täglichen Zitterns auf unserem Gang durchs Leben.





Ich möchte jetzt zum Schluss kommen. Piero Dorazio ordnet die Dinge nicht wie Licht in Verbindung mit ... Schatten, der ein Objekt kreiert oder modelliert. Die Einheit der Oberfläche ergibt sich nicht aus dem Widerspruch von Dunkel und Hell, eine Gegenüberstellung, welche die verschiedenen Teile eines Bildes einschliesst, und so zur Abgeschlossenheit (der Zutrefflichkeit) der Komposition führt.
Bei ihm gibt es eine unterschiedliche Betrachtung, welche der Autonomie der Linien und Farbflecken in sich selbst Wert beimisst. Den räumlichen Sinn geben wir im Akt der Wahrnehmung, und nicht die Schatten; der Sinn des Blicks ist ein geistiges Schaffen, wir projizieren uns in den Zeichnungen. Dorazio verwendet die Schatten nicht im Sinn von etwas, das von den Objekten abhängt oder sie modelliert, sondern er verwendet die chromatische Skala, um der Oberfläche mehr Bedeutung zu geben, und gelangt auf diese Weise zu einem gewissen Informalismus, zur Ausschaltung eines objektiven Bezugs und geht dadurch zur reinen Abstraktion über.

Piero Dorazio versucht, der lebenden Form durch die Synthese der Linie ihre Essenz, ihren Rhythmus, welchen man beim Betrachten verspürt, zu entziehen. Die Linie ist nicht mehr die einzige Grundlage der Komposition, und das Licht beginnt, eine Rolle zu spielen.

Aber das Licht, mit Farbe eingefangen und wiedergegeben, ist ein Fleck, ein Schatten. Wo beginnt das eine und endet das andere auf der Leinwand, in den zwei Dimensionen? Wenn Piero Dorazio malt, negiert er alles, negiert sogar den Untergrund Leinwand: seine Vorgangsweise ist die Negation, wo die dunklen Töne Licht sind und das Licht Schatten ist.

Seine Figuren –um auf der Leinwand beleuchtet zu werden, während sie zu Bildern werden– flüchten vor dem Licht, und während sie dies versuchen werden sie zu leuchtenden Rhythmen.



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