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Eugen Gomringer über Paolo Minoli
Grafik- editionen
Der Maler und die Dichter - Das Werk von Paolo Minoli
Eugen Gomringer


Es existiert im überblickbaren europäischen Kunstraum kein zweites Werk von Bedeutung, das mit konstruktiven Mitteln eine ähnlich intensive poetische Wirkung zu erzeugen vermöchte. Das Werk von Paolo Minoli ist als Ganzes wie in vielen Einzelwerken den Dichtem gewidmet, und zwar den großen und berühmten.Wie man in der Poetik von einem "Hohen Ton" spricht - ein Ton der Feierlichkeit und des Ernstes - sind auch die Bilder und Skulpturen von Paolo Minoll auf einer hohen und reinen Ebene angesiedelt.

Man kann von Minoli in seiner Beziehung zum dichterischen Wort in einem Rückkoppelungseffekt direkt den Anschluß an Gedanken Kandinskys, die er in ,,Über das Geistige in der Kunst" äußerte, herstellen. Das Wort ist ein innerer Klang" schrieb er und prophezeite der Zukunftsliteratur große Möglichketein. Auch über die Musik ,,wo die musikalischen Erlebnisse keine akustischen sind, sondem rein seelische" (Schönbergrsche Musik) sah er den Beginn der Zukunftsmusik". Es ist der innere Klang für Kandinsky, der den Gegenstand dematerialisiert und eine Vibration hervorzurufen vermag. Jeder Betrachter der Bilder von Minoli wird ein übereinstimmendes Erlebnis haben und sich vielleicht wundem, daß diesen zukunftsweisenden Gedanken zwar manches künstlerische Werk in diesem Jahrhundert sich annähert, jedoch nie so konsequent und sinnesverwandt nachgelebt worden ist, wie dies durch Minoli - als Lebensaufgabe - geschieht Wie aber entsteht eine solche Übereinstimmung von Poesie und Malerei, wo konstruktive Kunst ausschließlich mit Struktur und Farbe arbeitet? Wie geht Lautmalerei, einmal beim Wort genommen, vor? Wo nur mit der Linie, und gelegentlich auch mit der Fläche in der Fläche und ebenso mit dem Relief gestaltet wird? Obgleich sich der Gestaltungsmodus der sparsamen Mittel der Beschreibung nicht entzieht, wird sich ein Rezept nie herausfinden lassen. Es liegt allein in der Konstitution des Künstlers, daß aus sparsamen Mitteln Bilderräume entstehen, die von Sphärenklängen erfüllt sind. Dennoch: wie geht Lautmalerei vor? Wie kommt es zum Hohen Ton auch in der Malerei?

Das konstruktive Gestaltungsmittel, das Element, ist für Minoli mit seltener
Ausschließlichkeit die Linie. Selbst in den früheren Arbeiten, in den siebziger Jahren, wo er sich mit ,,Durchdringungen" befaßte -Durchdringungen von Kreisflächen und Quadratnetzen - ist die Linie vertikal, horizontal, als Bogen oder als Kreis richtungsbestimmendes Element, bis sie sich ab Mitte der siebziger Jahre vom Ballast der Fläche befreit und alleiniges Mittel wird. Als Kombination von konstruktivem richtungsbestimmendem Element und der Farbe wird sie zum energetischen Mittel der Farblinie. Mit dieser Farblinie werden die Strukturen gebildet, zuerst mit rechtwinkligen Kreuzungen, dann mit hoher Konzentration die Strukturen aus Linienparallelen, entweder vertikal oder horizontal gerichtet.
Schlüsselbilder sind dabei zwei Gruppen von je vier Werken, die 1987 entstanden sind und nun in Farbe, Struktur und allgemein im Ton die reiche Fracht bis heute ankündigen. Beide Gruppen tragen auch bezeichnende Titel, nämlich "von den Künsten und von den Sternen", und ebenso sinngebend wirken die musikalischen Begriffe, die derUnterscheidung der Bilder innerhalb der Gruppe dienen, zum Beispiel ,,molto allegro' con fuoco", sowie,,tempo due...". Die Spährenklänge, ein geistig-konstruktives Konzept, läßt jeden Gedanken an Farbkörper-Eigenschaften verflüchtigen, ja sie widerlegen die Ansicht, daß die Farbe die Eigenschaft eines Stoffes sei in ganz selbstverständlicher Weise. Vielmehr erscheinen die Farben im Linienspektrum, wobei Variationen entstehen können durch unterschiedliche Lichtquellen. Minoli läßt das Linienspektren quasi malerisch aufleuchten, sodaß der zurückhaltend dunkle Raum abwechselnd hell aufleuchtet - Klänge,Rhythmen, Impulse im Raum.

1992 hat Minoli eine größere Gruppe von Bildern ,,dem Poeten" gewidmet. Sie sind in der Mehrzahl auf dunklem violetten Grund gemalt, auf dem in einem helleren Blau jeweils eine Struktur paralleler Linien entweder in vertikaler oder in horizontaler Richtung durchläuft - man hat den Eindruck, daß sie gerade ins Bild gekommen seien. Diese durchlaufenden Linien sind zwar grundsätzlich geometrischer Natur, aber sie sind auch ungleich dünn und sie sind gemalt. Auf jeder der aufscheinenden Linien ist ein-oder zweimal das Farbspektrum unterschiedlicher Zusammensetzung Bestandteil, überdies wechseln diese Stellen höherer Konzentration von Linie zu Linie. Der Effekt ist ein Rhytmus, der das ganze Bild miteinbezieht, und der ,,Lesende" sieht konkret, was das betreffende Gedicht oder die Verszeile sozusagen unmittelbar an Impuls ausstrahlt. Daß Linien und Verszeilen nicht identisch sind - in gewissem Sinne sind sie es -, wird dann ersichtlich, wenn die Linienstruktur senkrecht verläuft. Wie eng der farbgraphische Bezug zum Klanggebilde der betreffenden Dichtung auch sei, das oszillierende Gesamtbild gibt die Dichtung und den Dichter mit großer Intensität wieder. Jedes Bild wird auf diese Weise auch zum Portrait. Man ist getroffen von der präzisen Wiedergabe und Differenziertheit eines chinesischen Dichters im Gegensatz etwa zu Marcel Roland oder Octavio Paz, ja man vermeint selbst die Tonhöhen im Sehen zu hören.

Daß Minoli kosmischdenkt. wenn er zweidimensional konzipiert, ist sehr schön anhand des Gedichts von Goethe ,,Gesang der Geister über den Wassern" zu ,,überprüfen". Minoli bezieht sich auf die Strophe
,,lm flachen Bette/schleicht er das Wiesental hin,/ und in dem glatten See/weiden ihr Antlitz/alle Gestirne." Der Maler hat dieser Strophe, wie auch sonst hin wieder, ein Doppelbild, zwei Bilder gleichen Formates, gewidmet, und zwar sind beide betont quer liegende Formate, wodurch das poetische Bild des Wassers "im flachen Bette" rein äußerlich seine passende Interpretation in geometrischer Form erfährt. Wer nicht weiß, daß das Gedicht von Goethe Auslöser dieser Bilder ist, assoziiert vermutlich rasch die Seerosen von Monet was durchaus berechtigt ist und diegedankliche Weite, zu welcher diese Bilder den Betrachter stimulieren, anklingen läßt. Goethe aber dichtet, wie alle Gestirne ihr Antlitz im glatten See weiden. Man kann fast Wort für Wort wiedererkennen- und wird erstaunt ein weiteres Mal feststellen, welch geistige Kraft der Aussage mit den einfachsten Elementen der Konkreten Kunst möglich ist. Minoli dürfte sich besonders angezogen gefühlt haben durch die Interpretation des glatten Sees und der Gestirne, die sich darin spiegeln. Denn immer gleichen seine Spektralreihen Sternen und Sternbildern - äußerlich sogar, wenn man das Firmament lange genug belichtet.

Minoli, der direkte Nachfahre Kandinskys, ist mit seiner Technik der Dematerialisierung - bei profunder semantischer Dimension - ein aktueller zeitgenössischer Künstler. Seine Bilder sind Zeit-Raum-Gebilde. Seine Farbspektren sind Bausteine, die auch die elektronische Welt bilden. Sie gehören zu einer Informationstechnik, die mit reiner Energie und mit Licht arbeitet, bzw. mit Lichtwellen oder Lichtpartikeln. Dabei ist Minolis Kunst nicht so spektakulär wie sich etwa die Laserkunst gibt. Im Gegensatz zu manchen telematischen Kunstäußerungen ist sie nicht unverbindlich.Sie ist sogar in hohem Maße verbinlich.


Katalog
Der 19. Hilzinger Kunstausstellung
Mit der Sonderausstellung Paolo Minoli
19. - 26. Oktober 1997 im Rathaus Hilzingen



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