Galerie und Verlag ARAS
Aktuelle Ausstellung
Matthias Bärmann über Paolo Minoli
Grafik- editionen
Einführung von Matthias Bärmann zur:

Paolo Minoli-Ausstellung in der Galerie Aras, Ravensburg am 24. November 2001

Es ist schon auf den ersten Blick evident; Paolo Minoli, dessen Werk Ihnen seit langen Jahren durch die Vermittlung der Galerie Aras vertraut ist und das schon seit etlicher Zeit in keiner der großen Ausstellungen zeitgenössischer italienischer Kunst mehr fehlt, - Paolo Minoli ist ein Maler der Farbe, des Lichts. Und er ist zugleich ein Maler der Bewegung, der Bezüge, und damit ein Maler der Zeit. Seine Bilder eröffnen bewegte, dynamische Räume, die Sequenzen der Farben haben - in großer Nähe zur Musik - zeitlichen Charakter.

Farbe und Licht, Raum und Zeit sind freilich nicht allein grundlegende Elemente der Malerei, sondern vielmehr Aspekte der Wahrnehmung, des Bewußtseins selbst. Durchaus könnte man Minolis funkelnde, aufblitzende Konstellationen als analoge Strukturen zu den neuronalen Strukturen des Gehirns betrachten, in deren komplex venetztem und flüchtigen Zusammenspiel unsere Wahrnehmung der Welt sich bildet - und immer wieder aufs Neue sich bildet in einem unabgeschlossenen Prozess. Paolo Minoli beschreibt seine Bilder selbst als ,,Felder von Beziehung und Bewegung". Mit seiner Malerei erinnert er uns daran, daß unser Bewußtsein, - ungeachtet all seiner Sehnsucht nach Beständigkeit und Unveränderlichkeit - in Wirklichkeit ein flüchtiges Phänomen ist, schwerlich beständiger als eine Lichtreflexion auf der Wasserfläche des Meeres.

Minoli geht um mit dem ungreifbarsten Stoff schlechthin, mit dem Licht. Er fächert das Licht in das Spektrum der Farben auf, die er in vielgliedrigen, feinen Bändern und Sequenzen auf den monochromen Gründen seiner Bilder organisiert. Mit dem Übergang vom Licht zur Farbe bildet sich so eine Schnittstelle: zwischen Geist und Materie, zwischen immateriellem Leuchten und der Körperhaftigkeit der Farbmaterie. Diese Bilder haben somit eine doppelte Natur: sie sind mit äußerster Hingabe und Feinheit gemalt und stofflich materialisiert - und zugleich sind sie geistige Partituren von großer Sublimität.

Die Verwandlung von Licht in Farbe; bei Minoli ist sie dadurch charakterisiert, daß das Licht nicht statisch fixiert wird; vielmehr bewahren die seriellen Strukturen der Farbbänder in ihren Sequenzen genau das, was dem Licht wesentlich ist: Beweglichkeit, Leichtigkeit, Wandelbarkeit. Hierzu steht die Klarheit dieser Malerei, die große Disziplin in der Organisation der Strukturen keineswegs in Widerspruch. Ordnung ist hier nicht Einschränkung, sondern im Gegenteil geradezu Voraussetzung für das Fließen der Dinge, für dynamische Unabgeschlossenheit.

So beziehen sich auch die Titel der Bilder auf Begriffe der Bewegung und Verwandlung, z.b.: Modulation, Sequenz, Transformation, Variation – alles Begriffe im übrigen, die auch in der zeitlichsten aller Künste, in der Musik eine bedeutende Rolle spielen. Dies mag alles zunächst vielleicht einigermaßen abstrakt klingen, ist es de facto aber nicht, wie sich rasch erweist, wenn wir weiterhin bei den Titeln bleiben und lesen: "Von der Musik und von der Stille", "Widerhallend wie ein erstes und ein zweites Lied", oder "Musik kam zu mir über das Wasser geweht". Dies sind sehr konkrete Situationen und Eindrücke, konkrete Wahrnehmungen, die sich in ganz alltäglichen Zusammenhängen machen lassen - bzw. machen lassen könnten, wäre man nur wach und gegenwärtig genug. Dazu wiederum kann die konzentrierte Betrachtung dieser Bilder einen auf den Weg bringen.

Daß der Bezug vieler Bildtitel zur Musik durchaus kein Zufall ist, unterstreicht nicht zuletzt die Tatsache, daß Minoli sich zur Organisation seiner Farbstrukturen solcher Techniken bedient, wie sie auch für die Komposition vor allem polyphoner Musik geläufig sind. So z.B., indem er Farbsequenzen weiterentwickelt, indem er sie symmetrisch spiegelt oder in der Abfolge umkehrt. Noch einmal sei in diesem Zusammenhang nachdrücklich darauf hingewiesen:
solche Systematik und Disziplin schafft im Falle dieser Bilder keine Ordnung um der Ordnung willen - also Ordnung nicht als starren Selbstzweck. Die systematische Organisation von Licht und Farbe, wie wir sie hier erfahren können, setzt ganz im Gegenteil frei, was dem Licht, was der Farbe zutiefst innewohnt: die Freiheit von Bewegung, von Offenheit und Verwandlung.

Strenge und Leichtigkeit, Disziplin und Offenheit, Systematik und Freiheit:
Gegensätze, die sich ausschließen? Nicht so im Falle der Bilder von Paolo Minoli, der seine Bild-Felder so organisiert, daß klar wird (um nur ein Beispiel zu nennen): das definierende, systematische Element braucht gerade sein Gegenteil, das Ungreifbare, sich Entziehende - so wie umgekehrt Offenheit auf den ergänzenden Aspekt der Grenze angewiesen ist, um überhaupt erst erfahrbar zu werden.

Nehmen wir als Beispiel die in Minolis Werk nicht seltenen Diptychen. Stets ist es so, daß die beiden jeweils zusammengehörigen Bildtafeln in Struktur und Farbigkeit auf den ersten Blick exakt symetrisch zueinander zu stehen scheinen. Doch zeigen sich bei weiterer Betrachtung zunehmend Differenzen im Detail, welche die zunächst suggerierte totale Ordnung unterlaufen und aufbrechen. Die aus dieser Spannung zwischen konsequenter Systematik und Abweichung resultierende Irritation ist von entscheidender produktiver Potenz. Denn schließlich ist ja, was uns in Bewegung hält, sehr viel eher Ungewißheit und Unabgeschlossenheit als Gewißheit und Berechenbarkeit - mögen wir letztere in der Regel auch noch so sehr spontan bevorzugen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang an jenes aufregende Diktum von Paul Klee erinnern, der sagte, das Genie sei gewissermaßen ,,der Fehler im System" - also das Unberechenbare im Berechenbaren, das Abweichende im Systematischen.

Nur Ordnung, Ordnung als Selbstzweck also, endet unweigerlich in Erstarrung. So wie grenzenlose Freiheit ihrerseits in Beliebigkeit zu entgleiten droht. Starrheit und Beliebigkeit: zwei entgegengesetzte, aber gleichermaßen sichere Wege in die Katastrophe. Paolo Minolis Bilder lese ich dagegen als Zeichen dahingehend, wie das große, das lebendige Spiel elementater Spannungen offen, und das heißt: im Fluß gehalten werden kann.



Zum Thema Licht - Anmerkung aus gegebenem Anlass.

Vor knapp 800 Jahren wurde in der Stadt Balkh am Oberlauf des Amur Darja einer der größten Dichter nicht nur des MA, sondern aller Zeiten geboren:
Dschalal ed-din Rumi. Das, was von der alten Stadt Balkh noch übrig geblieben ist, liegt heute ziemlich genau auf halbem Wege zwischen den Orten Masar-i--Scharif und Kundus - Namen, mit denen wir bedauerlicherweise in der Regel ausschließlich ,,Gotteskrieger" im Blutrausch, mutmaßliche Terroristen und Massaker assoziieren. Rumis Dichtung, die im ungemein reichen kulturellen Beziehungsgeflecht des damaligen Zentralasiens entstand, war aber ein großer und spiritueller .Hymnus auf das Licht. So schrieb er etwa (Prosa-Ü. von Cyrus
Atabay):

"Wenn Licht die ganze Welt überflutete –
solange im Auge kein Licht ist,
wird man jenes Licht nicht wahrnehmen."

Vorstellung: Gleiches wird nur von Gleichem erkannt. Das Göttliche erkennt der
Mensch nur, wenn in ihm selbst ein Funken des Göttlichen wach ist.
Ungefähr ein gutes halbes Jahrtausend später schrieb Johann W. v. Goethe:

Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Wie könnten wir das Licht erblicken?
Läg' nicht in uns des Gottes eigne Kraft -
Wie könnt‘ uns Göttliches entzücken?

Dazwischen, wie gesagt, ein halbes Jahrtausend in der Zeit und ein paar tausend Jahre im Raum. Der Unterschied zwischen - vermeintlich - zivilisierter und -vermeintlich - unzivilisierter Welt? Ich vermag ihn nicht zu sehen.
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